«Der Tod bekommt eine andere Bedeutung, wenn man täglich mit ihm zu tun hat. Als Bestatter sind mir schon fast alle möglichen Todesursachen begegnet und natürlich wünsche auch ich mir, eines Tages einfach friedlich einzuschlafen. Angst vor dem Tod habe ich nicht, wobei ich nicht weiss, wie es sein wird, wenn mir der Tod einmal wirklich nahekommt.
Auch weiss ich nicht, wie ich reagiere, wenn eine mir sehr nahestehende Person stirbt. In einer Ausnahmesituation ist man wie in einem anderen Film, das erlebe ich immer wieder. Eine prägende Erfahrung war, als meine Grossmutter, die Mutter meines Vaters, starb. Mein Vater, selbst Bestatter und normalerweise sehr ruhig, professionell und strukturiert, war plötzlich ein Häufchen Elend. Völlig chaotisch und unkoordiniert, und er wäre imstande gewesen, mitten in der Nacht den Pfarrer anzurufen. Immer wieder musste ich ihm sagen, er solle sich beruhigen und es langsam angehen lassen. Ich erkannte meinen Vater nicht wieder.
Von meinen Eltern weiss ich genau, wie sie bestattet werden möchten. Auch mit meiner Frau habe ich darüber gesprochen. Ich selbst wünsche mir eine Kremation. Was mit der Asche dann geschieht, ob sie in ein Grab kommt oder nicht, ist mir nicht so wichtig. Aber ich wünsche mir eine klassische katholische Messe mit allem Drum und Dran. Ich gehe nicht oft in die Kirche und bin nicht mit allem, wofür der Katholizismus steht, einverstanden. Aber wenn ich zur Messe gehe, bin ich immer wieder berührt. So wünsche ich mir meinen Abschied.
Sich zu verabschieden, halte ich für enorm wichtig. Die Beisetzung ist der erste Schritt in der Trauerverarbeitung. Es ist das definitive, endgültige Loslassen, bei dem man realisiert, dass die Person wirklich nicht mehr da ist.
In meinem Beruf habe ich mit Menschen zu tun, die sich in einer absoluten Ausnahmesituation befinden. Das braucht sehr viel Empathie, Einfühlungsvermögen und ein gutes Gespür. Denn, auch wenn sich alle, die zu uns kommen, in der gleichen Lage befinden, reagiert doch jeder in der Trauer anders. Als Bestatter muss ich spüren, wie ich die Leute erreichen kann und in welcher Trauerphase sie gerade sind. Wenn sich die Leute in der Phase der Wut befinden, reicht ein einziges falsches Wort und sie sind auf 180. Aber alle sind auf unsere Hilfe angewiesen und wir können ihnen diese Hilfe auch bieten. Der Bestatter ist ein bisschen der Fels in der Brandung. Deshalb ist es ein sehr befriedigender Job. Es kommt viel zurück.
Viele Leute haben überhaupt keine Ahnung, was sie tun müssen, wenn jemand stirbt. Manche kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Kremation und Erdbestattung. Deshalb gehen wir alles Punkt für Punkt mit ihnen durch. Ein Bestatter ist eigentlich eine Art Eventmanager, er kümmert sich um alles rund um die Beerdigung: Wir bereiten den Sarg vor und machen den Verstorbenen zurecht, wir organisieren eine Pfarrperson, den Friedhof, bestellen Blumen und buchen Musiker für die Beerdigung. Wir gestalten die Grafik der Leidzirkulare selbst und drucken diese auch. Wir sind bei der Trauerfeier und der Beisetzung dabei und verschicken danach die Dankeskarten. All das macht diesen Job enorm abwechslungsreich und spannend.
Für die Angehörigen ist es oft schwieriger, wenn jemand unerwartet verstorben ist und sie sich nicht verabschieden konnten. Deshalb ist meine erste Frage eigentlich immer, ob der Tod überraschend kam. Ist das der Fall, ist es leider oft so, dass die Hinterbliebenen nicht wissen, wie der Verstorbene hätte beerdigt werden wollen. Weil man einfach nie darüber gesprochen hat. Ich rate allen, sich zu überlegen, wie man beigesetzt werden möchte und darüber zu sprechen oder es aufzuschreiben. Es ist für die Hinterbliebenen sehr belastend, wenn sie alles selbst entscheiden müssen.
Wer möchte, kann seine eigene Beerdigung beim Bestatter bis ins kleinste Detail planen. Das nennt sich Bestattungsvorsorge. Diese wird meist von älteren Personen in Anspruch genommen, die keine Angehörigen mehr haben – oder keine, die in der Nähe wohnen. Man hält vertraglich fest, was man sich wünscht. Wenn dann die Person stirbt, nehmen wir das Dossier hervor und die Angehörigen müssen nur noch entscheiden, wann die Bestattung stattfinden soll. Ich habe eine Dame, die sich den Grabstein beim Steinbildhauer bereits ausgesucht hat, mit Schriftzug und allem. Andere halten fest, in welchem Restaurant ihr Grebtessen stattfinden soll.
Für mich nach wie vor speziell sind die Exitfälle. Wenn jemand anruft und sagt, er werde mit Exit gehen und uns das genaue Datum nennt. Dann sitzen wir manchmal im Büro, schauen auf die Uhr und sagen, jetzt hat er wahrscheinlich den Trunk genommen. Zwei bis drei Stunden später folgt der Anruf, dass wir die Person abholen können. Die Zahl der Exitverstorbenen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Am Anfang war ich gegen Sterbehilfe, weil ich dachte, dass wir nicht das Recht haben, über unseren Tod zu verfügen. Dann habe ich aber gesehen, wie krank manche sind, wie sie leiden und ihnen medizinisch nur noch bedingt mit Schmerzmitteln geholfen werden kann. So habe ich heute Verständnis für Menschen, die eine solche Entscheidung treffen. Wir hatten auch schon mehrmals Paare, die gemeinsam mit Exit gegangen sind.
Für viele Bestatter ist der Umgang mit den Verstorbenen am Anfang schwierig. Zum ersten Mal eine Leiche anzufassen, kostet Überwindung. Da ich aus einer Bestatterfamilie komme, bin ich damit quasi aufgewachsen. Mit 15 Jahren habe ich angefangen, im Familienbetrieb mitzuhelfen. Berührungsängste mit Verstorbenen hatte ich deshalb nie. Mein Grossvater schreinerte die Särge sogar noch selbst. Auf dem Land war es früher üblich, dass der Schreiner auch der Bestatter war.
Ich stieg aber nicht sofort in den Beruf ein. Zuerst studierte ich Musik. In den Bestatterberuf wechselte ich ein paar Jahre später. Nun bin ich seit über 20 Jahren Bestatter und muss sagen: Es ist der richtige Beruf für mich. Die Musik habe ich aber nicht ganz aufgegeben: Ich spiele jeden Montag mit dem Swiss Jazz Orchestra im Bierhübeli. Das ist ein enorm wichtiger Ausgleich. Physisch und psychisch ist mein Beruf oft sehr belastend, da ist ein Hobby oder sonst ein Ausgleich zentral, um gesund zu bleiben.
Natürlich gibt es immer wieder Situationen, die mir zu schaffen machen. Wenn wir zu einem Verstorbenen gerufen werden, der bereits mehrere Wochen tot in seiner Wohnung lag und den scheinbar niemand vermisst hat. Wenn wir zu Bahnunfällen müssen. Das sind oft grauenhafte Bilder, die man verarbeiten muss. Es hilft, mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro darüber zu sprechen. Auch Humor hilft. Die meisten Bestatter haben einen rabenschwarzen Humor.
Man darf die Traurigkeit der Angehörigen nicht übernehmen. Anteilnahme ist wichtig, aber man darf nicht mitleiden, sonst geht das nicht lange gut. Da muss ich mich selbst schützen. Als Bestatter muss ich ausgeglichen und lebenserfahren sein, damit mich all die Schicksale und Geschichten nicht zu stark belasten. Besonders schwierig ist es immer, wenn ein Kind stirbt. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Kind 5 oder 50 Jahre alt ist. Für Eltern fühlt es sich immer falsch an, wenn die Kinder zuerst gehen.
In einer Bestatterfamilie aufzuwachsen, hat mich früh geerdet. Es war mir schon als junger Mann bewusst, dass es uns gut geht und dass es Menschen gibt, die ganz andere Sorgen haben. Gerade weil ich jeden Tag mit dem Tod zu tun habe, schätze und geniesse ich das Leben umso mehr.» (mk)
Reto Zumstein ist Geschäftsleiter bei Egli Bestattungen in Bern.
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